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Berliner Intervention in Anlehnung an die Thesen zur Verteidigung der Migrationsgesellschaft

Auf der Fachtagung „Resist. Defend. Protect. – Psychosoziale Arbeit in Zeiten von Rechtsverschiebung und Ohnmacht“ von BAfF und medico international wurde am 05.06.2024 die folgende Intervention verabschiedet.

05. Juni 2024


RESIST: DER RECHTSVERSCHIEBUNG WIDERSTAND LEISTEN

Die Europäische Politik der Entrechtung von und Abschottung gegen schutzsuchende Menschen ist ein elementarer Teil der fortschreitenden Rechtsverschiebung in Deutschland. Rechte und faschistische Ideologien profitieren von den stereotypen und rassistischen Erzählungen, die längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und tiefe Wurzeln schlagen. Die angebotenen „einfachen Lösungen“ gefährden unser Zusammenleben.

Das Problem war nie Migration, sondern die nie überwundene rassistische, autoritäre und zutiefst menschenfeindliche Weltanschauung, die heute wieder offen zur Schau getragen wird. Das einzige Gegenmittel ist eine Stärkung von Vielfalt, von echter sozialer und politischer Teilhabe. Rechte Politik steht für und lebt von Ausgrenzung. Wir müssen diese Grenzen unermüdlich wieder aufbrechen – wir brauchen einander.

DEFEND: MENSCHENWÜRDIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG VERTEIDIGEN

Migration ist Kernbestandteil menschlicher Geschichte und hat Gesellschaften immer geprägt. Gleichzeitig sind Xenophobie und Rassismus tief in der Mitte dieser Gesellschaft verankert. Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt sind Alltag für viele Menschen in diesem Land. Eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung für Geflüchtete zu verteidigen heißt, diese Ausgrenzungen offenzulegen und abzubauen, auch und zuerst in unseren eigenen Strukturen.

Gesundheit ist ein Menschenrecht, das nicht von rechtlichen oder sozialen Umständen abhängen darf. Die Realität sieht jedoch anders aus, insbesondere für Schutzsuchende, die durch gesetzliche Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz nicht nur schlechter versorgt werden, sondern zusätzliches Leid erfahren. Unerreichbare Versorgung, lange Wartezeiten, demütigende Verfahren, um die notwendige Hilfe bewilligt zu bekommen: Die Ungleichbehandlung per Gesetz verursacht hohe gesundheitliche Folgekosten.

Die Einschränkungen der Gesundheitsversorgung durch das AsylbLG müssen im Sinne einer Gleichstellung mit gesetzlich Krankenversicherten aufgehoben werden.

Sprachbarrieren dürfen nicht zur Benachteiligung in der Versorgung führen – Sprachmittlung muss gesetzlicher Anspruch sein.

Folterüberlebende haben Rechte, deren Verwirklichung ihnen in Deutschland verwehrt wird, wie den Zugang zu Rehabilitationsangeboten. Das bisher kaum umsetzbare Recht auf Rehabilitation für Folterüberlebende muss in Deutschland endlich Realität werden.

Fachkräfte müssen entsprechend ausgebildet und begleitet werden, um eine diskriminierungssensible Beratungs- und Therapiepraxis zu gewährleisten. Eine kritische Reflexion der eigenen Machtstrukturen und Privilegien ist dabei unerlässlich, um eine inklusive und gerechte Unterstützung langfristig zu ermöglichen.

Unterstützungssysteme müssen abgesichert und gestärkt werden – auch in ihren Möglichkeiten, sich selbst vor Ohnmacht und Überforderung zu schützen.

PROTECT: SCHUTZ FÜR VULNERABLE FLÜCHTENDE ERMÖGLICHEN

Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) legalisiert Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen und führt dazu, dass Bedrohungs- und Gewalterfahrungen von Schutzsuchenden in einem Ausmaß zunehmen werden, das den Erhalt psychischer Gesundheit systematisch unmöglich macht.

Europaweit streben politische und gesellschaftliche Strömungen zunehmend die faktische Abschaffung des Flüchtlingsschutzes an, indem sie die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen in Frage stellen und Stück für Stück demontieren. Im öffentlichen Diskurs und in politischen Entscheidungen werden Fluchtursachen und die Notwendigkeit des asylrechtlichen Schutzes zunehmend vehement negiert.

Die Errichtung von Haftlagern an den Grenzen (auch innerhalb Deutschlands) und die Externalisierung von Asylverfahren durch Abkommen mit Drittstaaten reduzieren weder die Flüchtlingszahlen noch die Todesfälle, sie sind Öl im Feuer autoritärer Rechtsverschiebung in Europa.

Diese Entwicklung ist sowohl rechtlich als auch moralisch katastrophal, untergräbt die Grundpfeiler von Rechtstaatlichkeit und Menschlichkeit, auf denen eine demokratische Gesellschaft aufgebaut sein muss.

Die Inhaftierung von vulnerablen Asylsuchenden (selbst Kindern) im Rahmen von Grenzverfahren gilt es zu verhindern, sie darf nicht Gesetz werden.

Das individuelle Recht auf Asyl muss für Überlebende von Folter, Krieg und Verfolgung effektiv geltend gemacht werden können – Abschiebungen in „sichere“ Drittstaaten, die nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert haben, sind als Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen.

Der Schutz von Menschenleben betrifft uns alle: Historische und humanitäre Verantwortung lassen sich nicht an den Rand der EU oder darüber hinaus verschieben.

Die Frage danach, wessen Leben wir als schützenswert erachten, sagt weniger über die Menschlichkeit und Würde Schutzsuchender aus als über unsere eigene.


Veröffentlicht auf der Tagung „Resist. Defend. Protect.“ von BAfF und medico international in Berlin am 05. Juni 2024.


Die Berliner Intervention als pdf.